QualitätsSicherung - QualitätsEntwicklung - Kinderschutz
Problematische Kinderschutzverläufe (vgl. Fegert u.a. 2010)
- Kommunikationsprobleme zwischen Systemen und innerhalb von Systemen
- Verstöße gegen das Mehraugenprinzip
- Fehlende systematische Dokumentation
- Fehlen einheitlicher Standards bzw. Nichtanwendung vorhandener Standards
- Bestimmte Einschätzungen werden zu früh aufgrund nicht hinreichender Datenlage getroffen. Später werden dann Informationen nur noch zur Legitimation der ursprünglichen Entscheidung herangezogen
- Bei der Fehleranalyse steht nicht die Schuldfrage im Mittelpunkt, sondern es geht um Sicherheitslücken im Gesamtsystem (Struktur-; Prozess- und Ergebnisqualität)
- Fehler müssen zuallererst als Systemprobleme und nicht als das persönliches Versagen des Letzten in der Kette verstanden werden.
Quelle: Klaus Wilting - Praxis für Supervision und Organisationsentwicklung - Fachberatung im Kinderschutz - Die insoweit erfahrene Fachkraft - Kinderschutz-Zentren - Weiterbildungskurs 2014 - LK MSH
Qualität definieren …
"Qualität ist eine relative Größe und lässt keine allgemeingültige Definition zu. In der Jugendhilfe wird Qualität von den Beteiligten im Hinblick auf bestimmte Ziele ausgehandelt, definiert und beurteilt.".
Quelle: BMFSFJ. (2000). QS 28 - Materialien zur Qualitätssicherung in der Kinder- und Jugendhilfe - Leitfaden für Qualitätsbeauftragte. S.18. Berlin.
"'Qualität im Kinderschutz' ist eine Bezeichnung für die Güte einer humanen Dienstleistung, die im Kontext von Kinderschutzeinrichtungen erbracht wird - unter Berücksichtigung von ethischen, gesetzlichen, persönlichen, gesellschaftlichen, politischen und fachlichen sowie wissenschaftlichen Bewertungen.
Qualität ist insofern eine von Erfahrungen, Wünschen und Interessen, nicht zuletzt aber von bestehenden Wert- und Wissenssystemen abhängige Konstruktion.
Quelle: Wolf et al. (2013). Aus Fehlern lernen - Qualitätsmangement im Kinderschutz. S.270. Opladen: Budrich.
Qualitätsstandards = Qualitätskonstruktion
Eine Qualitätskonstruktion ist daher historisch immer relativ und ihre Akzeptanz ist umso größer, je mehr Menschen dieser Konstruktion zustimmen. Ihre Validität (ihr argumentatives Gewicht bzw. die Gültigkeit ihrer Setzungen/ Annahmen) erweist sich allein in der Praxis und gelegentlich auch in der wissenschaftlichen Überprüfung, deren Urteile freilich nicht für alle Zeiten gelten, sondern unter Berücksichtigung neuer Erfahrungen und eigener Erfindungen, Mittel und Möglichkeiten und nicht zuletzt neuer Wertsetzungen immer wieder aufs Neue überprüft werden müssen. Von daher wird verständlich, dass auch Qualitätsstandards nicht absolut gelten.
Qualitätsstandards sind Qualitätskonstruktionen (im Kontext von Kinderschutzpraxis) nach Maßgabe mehrseitig bestätigter fachlicher Kriterien, die dem aktuellen Stand guter oder gelingender Fachpraxis entsprechen. Sie machen deutlich, wo die fachlichen Messlatten gegenwärtig liegen, die man aber mit überzogenen Leistungsansprüchen nicht zu hoch hängen sollte, was nur zur Verstärkung von Abwehrreaktionen führen würde.
Qualitätsstandards gibt es nicht einfach, sie werden einem auch nicht einfach geschenkt, man muss sie entwickeln (am besten zusammen mit den anderen Akteuren im Feld). Sie selbst zu entwickeln, führt weiter, als wenn Qualitäts- entwickler, die von außen kommen, nur Anweisungen geben, was gute Fachpraxis ist und worauf es in der Praxis ankommt. Aber auch alle anderen Partner im Hilfesystem sind bei der Entwicklung und Umsetzung fachlicher Qualitätsmaßstäbe wichtig. Sie sind nur im Dialog zu entwickeln - im interessierten Austausch mit Hilfeteilnehmern, Fachkollegen, Leitungen, anderen Organisationen sowie mit Wissenschaft, Gesellschaft und Politik.
Quelle: Wolf et al. (2013). Aus Fehlern lernen - Qualitätsmangement im Kinderschutz. S.271. Opladen: Budrich.
Gemeinsame Leitorientierungen, Visionen, Konzepte
Wenn wir von Qualitätsstandards sprechen, geht es uns nicht um die Standardisierung einer nur schwer zu steuernden und zu kontrollierenden komplexen humanen Kinderschutzpraxis, sondern um die Herausarbeitung gemeinsamer (inter-)professioneller und (inter-)organisationaler Leitorientierungen, miteinander getragener Visionen und konkreter Programm- und Methodenkonzepte.
Das heißt: mit Rückgriff auf die von uns im Projekt empirisch herausgearbeiteten Qualitätsindikatoren (vgl. Kap. 6.8) muss ein Weg des Qualitäts- und Fehlermanagements im kommunalen Kinderschutz gefunden werden, der es ermöglicht,
- dass die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gefördert, ihre Rechte geachtet und ihre Sicherheit gewährleistet werden;
- dass Hilfeprozesse nachhaltig und wirksam gestaltet werden;
- dass mit Klientinnen und Klienten (mit Kindern und Jugendlichen, nicht zuletzt auch mit Eltern, die ihre Kinder gefährden und vernachlässigen) vertrauensvoll und solidarisch zusammengearbeitet wird;
- dass die Verfahrensabläufe zum reflexiven Umgang mit Meldungen der Kindeswohlgefährdung und Kinderschutzfällen verbindlich geregelt sind;
- dass Fachkräfte im Kinderschutz kompetent ausgebildet sind und ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen gefördert werden;
- dass Familien nicht ausgeschlossen sind und an Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft teilhaben sowie ihren Aufgaben als Eltern nachkommen können.
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Quelle: Wolf et al. (2013). Aus Fehlern lernen - Qualitätsmangement im Kinderschutz. S.273. Opladen: Budrich.
Strategien zur Weitentwicklung kommunaler Kinderschutzsystem (A)
Sechs Strategien kommen dafür nach Vorschlag des Münchner Kinderschutzforschers Heinz Kindler zur Weiterentwicklung der kommunalen Kinderschutzsysteme in Frage, wenngleich er nur zwei dieser sechs Strategien als empirisch gut begründet ansieht (Kindler 2010: 240ff.):
- Verstärkte Fort- und Weiterbildung der Fachkräfte im Kinderschutz
- Aufbau und Ausbau von Programmen und Projekten Früher Hilfen
- Intensivere Vernetzung der am Kinderschutz beteiligten Organisationen und Professionen
- Ausweitung von Personal- und Hilferessourcen
- Vermehrte Forschung zur Diagnostik und Intervention im Kinderschutz
- Förderung von Partizipation im Kinderschutz.
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Quelle: Wolf et al. (2013). Aus Fehlern lernen - Qualitätsmangement im Kinderschutz. S.273. Opladen: Budrich.
Strategien zur Weitentwicklung kommunaler Kinderschutzsystem (B)
Diese Strategien könnten unter Nutzung der Konzepte des Qualitäts- und Fehlermanagements des Kronberger Kreises für Dialogische Qualitätsentwicklung e. V, das auf drei Qualitätsebenen hin ausgerichtet ist, weiter konkretisiert und ausdifferenziert werden (Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen e.V. 2001: 22f.):
- Ebene des Bedarfs und der Nachfrage kommunaler Unterstützungs- und Hilfeprogramme
- Ebene der Angebote, Ziele, Mittel und Möglichkeiten der in den Kommunen vorhandenen Kinderschutzeinrichtungen
- Ebene der professionellen Kinderschutzakteure und ihrer selbst gesteckten Aufgaben und Ziele sowie deren organisationale Umsetzung und Zielerreichung unter Verwendung der vorhandenen und genutzten Verfahren, Techniken und Methoden.
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Quelle: Wolf et al. (2013). Aus Fehlern lernen - Qualitätsmangement im Kinderschutz. S.274. Opladen: Budrich.
Dimensionen der Qualität
Das Konzept berücksichtigt neben der Ebene der Strukturqualität (auf der die strukturellen Rahmenbedingungen und Ressourcen des Kinderschutz-Systems bzw. der Kinderschutzeinrichtung benannt werden) zehn Qualitätsdimensionen:
- Grundorientierungen und Leitideen
- Programmqualität
- Praxisprozessqualität
- Leitungsqualität
- Personal- und Teamqualität
- Organisationsqualität
- Kosten-Nutzen-Qualität
- Entwicklung und Sicherung von Qualität
- Hilfesystemqualität
- Qualität der Kinderschutzpolitik.
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Quelle: Wolf et al. (2013). Aus Fehlern lernen - Qualitätsmangement im Kinderschutz. S.275. Opladen: Budrich.
Gesetzliche Grundlage
Das deutsche Kinderschutz-System verfügt mit dem SBG VIII über eine demokratische partizipatorische gesetzliche Grundlage: Die Kinder- und Jugendhilfe ist verpflichtet, die Verwirklichung des Rechts junger Menschen sowie deren Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern:
- Junge Menschen sind in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern und die professionellen Dienste sollen dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen.
- Eltern und andere Erziehungsberechtigte sind bei der Erziehung zu beraten und zu unterstützen.
- Kinder und Jugendliche sind vor Gefahren zu schützen.
- Positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt sind zu erhalten oder zu schaffen.
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Diese Zielbestimmung verbindet die Förderung günstiger Lebensumstände mit der konkreten Hilfe und Unterstützung von Eltern, Kindern und Jugendlichen, ohne die Schutzaufgaben des Staates zu vernachlässigen. Eine weitere gesetzliche Präzisierung durch methodische Vorgaben zur Fachpraxis in der Fallarbeit des Kinderschutzes (was ja nicht Aufgabe des Gesetzgebers sondern der am Kinderschutz beteiligten Profession und Wissenschaften, insbesondere der Sozialen Arbeit ist) würde die professionelle Autonomie der Fachkräfte sowie der sie tragenden Disziplinen jedoch nur noch mehr einschränken; dies aber macht aufgrund der starken Bürokratisierungstendenzen im Hilfesystem bereits jetzt den Fachkräften zu schaffen.
Quelle: Wolf et al. (2013). Aus Fehlern lernen - Qualitätsmangement im Kinderschutz. S.275. Opladen: Budrich.
Entwicklungsaufgaben im Kinderschutz - 8 Jahre nach Einführung des §8a SGB VIII
(vgl. Fegert u.a. 2010)
- Steigerung der Kompetenzen im Erkennen von Risiken und in der Integration unterschiedlicher Perspektiven im Rahmen einer Güterabwägung
(einfache Checkliste reicht nicht aus!) - Etablierung der Fähigkeit zur Dokumentation, die der Sorgfaltspflicht entspricht (besonders: Dokumentation von Pro- und Contra-Argumenten für eine Entscheidung, damit die Güterabwägung deutlich und nachvollziehbar ist)
- Steigerung des Wissens über Suchterkrankungen, psychiatrische Erkrankungen und Auswirkungen elterlicher Delinquenz
- Verbesserung der Schnittstellen zwischen Jugendhilfe und Gesundheitswesen
- Einführung eines Berichtswesen zu riskanten Vorfällen (critical incident reporting System)
- Verbesserung der Kommunikation auf allen Ebenen (mit dem Klienten ; zwischen den Systemen)
- Einbeziehung von Erfahrungen aus anderen Systembereichen (z.B. Flugzeugindustrie, Atomwirtschaft..)
- Vorbereitung, Strukturierung und effiziente Lenkung von relevanten Teamsitzungen (u.a. Pro- und Contra-Argumente aufführen)
- Managementaufgaben: Ziele definieren, Verantwortlichkeiten klarstellen, Anreize für Fehlererkennen setzen (Vertrauenskultur; Fehlerkultur)
- Mehr Zeit für komplexe Fälle; weniger Zeit für Routinefälle (Ressourcenallokation abhängig von einer fundierten Falleinschätzung)
- Verbesserung der Prozessqualität
- Dysfunktionale Kommunikation in Krisen beruht auf mangelnder Zusammenarbeit im „Friedensfall"
- Die Achtsamkeit für die Befindlichkeit ist ein wichtiger Beitrag zur Fehleinschätzungen/Stress und Burnout als Risikofaktoren
- Früherkennung von Burnout-Problemen
- Fehlende Grundlagenforschung im Kinderschutz in Deutschland
- Kinderschutz ist eine ressortübergreifende Gemeinschaftsaufgabe
Quelle: Klaus Wilting - Praxis für Supervision und Organisationsentwicklung - Fachberatung im Kinderschutz - Die insoweit erfahrene Fachkraft - Kinderschutz-Zentren - Weiterbildungskurs 2014 - LK MSH